Dienstag, 8. Juni 2010

TRIBUNAL (und mosambikanisches Zeitverständnis)

Nach dem Diebstahl meines Laptops und einigen Besuchen bei der Polizei in verschiedenen Instanzen (Wachstube bis Kriminalabteilung) kam es schließlich 5 Monate nach dem Vorfall zur Gerichtsverhandlung.


Ein freundlicher Mitarbeiter der Justiz überbrachte mir die jeweiligen Dokumente zur Kenntnisnahme (Mein etwas verkürztes Protokoll zum Tathergang, die Anklage, die ich nochmals abschreiben musste, um zu gewährleisten, dass ich verstanden hätte worum’s geht, die Einladung) jeweils persönlich mit dem Privat-Motorrad, wofür er zum Schluss dezent anfragte, ob ich denn ein bissl Spritgeld für ihn hätte... (Ich meinte, ich möchte zuerst sehen, wie die Geschichte ausgeht, damit ich beurteilen kann ob ich zufrieden bin mit seinem Service...)


Die Einladung war für 8h ausgestellt und Leopoldino begleitete mich, für ev. Verständnisprobleme, da er mich ja von der Wachstube an von Beginn weg immer unterstützt hatte und die ganze Geschichte kannte.


Um’s abzukürzen: um 8h begann natürlich mal genau gar nix.


Nachdem Leopoldino um 9h Prüfung auf der Uni hat sprechen wir beim Zeremonienmeister vor nachdem absehbar wird, dass da vorher nix mehr läuft, erfahren, dass 7 Fälle zur Anhörung geplant sind und deponieren, dass mein Dolmetscher erst wieder nach 10h verfügbar ist.


Ich bring ihn also mit meinem Auto zur Uni, als ich zurückkomme – mittlerweile 5 vor 9h– ist der Saal locker gefüllt und es wird Anwesenheit abgefragt (zum 2ten Mal).
Schließlich 9h5: der Richter kommt – grinst breit übers ganze Gesicht, wirkt sympathisch und gut gelaunt, der Saal füllt sich mit den letzten Leuten (irgendwie hatten die entweder eine andere Einladung oder wissen wie das läuft...) und alle stehen auf – wie im Film oder beim Ministrieren – nur diesmal bin ich im Film bzw. auf der anderen Seite vom Volksaltar.


Ungefähr in der gleichen Geschwindigkeit wie’s begonnen hat, geht’s auch weiter.
Erster Fall: Verworrene Geschichte über fehlendes Geld bei einem lokalen Unternehmer „Peixe da mamá“ (Mama’s Fisch) – Hauptverdächtige: eine Studentin die eigentlich für die Buchhaltung zuständig ist (macht halt, was man ihr sagt) und der Einsammler der Filial-Losungen. Buchungen ohne Belege, Belege ohne Buchungen etc. Streitwert: 11.500 Meticais (ca. 260,- Euro).


Zweiter Fall: Eine Mutter und ihre Tochter verprügelten eine Nachbarin. Alles auf Makua. Der Schriftführer muss hin und her übersetzen, zwischendurch aufgebrachtes, sich-gegenseitig-Ausdrücke-an-den-Kopf-Werfen (die ich nicht verstehe) und Ruhe-Befehle des Richters.


Ich klink mich gedanklich aus und mache eine Skizze des für die Außenansicht des Gebäudes außerordentlich schönen Saales...


Dritter Fall: Schwiegersohn hat vom Schwiegervater irgendwie (hat nicht mal der Richter verstanden wie) auf einen Schlag 100.000,- Meticais veruntreut. Er hätte Reis kaufen sollen und hatte deswegen den fetten Scheck vom Schwiegerpaps bekommen... ;-) (vorher dürften sie sich gut verstanden haben...)


Vierter Fall: ICH.
Leopoldino ist schon lang wieder da – es ist deutlich nach Mittag, alle haben Hunger, hinter uns in der Bank jammert schon seit einer Stunde ein Knirps (~2Jahre) den seine Mutter wohl mitnehmen musste...


Ich werde rausgebeten, zuerst werden die Angeklagten vom Richter angehört/verhört.
Nach ca. 20 Minuten kann ich wieder rein, es ist halb zwei statt 8h (an manchen Tagen reg ich mich nicht mehr darüber auf...), und es geht los:
Richter: „Name?“
M. N.
Ich leg dem Schriftführer mein DIRE (hiesiger Personalausweis) hin, um das Buchstabieren abzukürzen.
R: „Beruf?“
„Berater für Toningenieur-Ausbildung.“
R: „Hmhm. Ton...“
Er grinst und fragt: „Lautsprecher und Mikrofone und so?“
Ich bin überrascht – er ist der erste, der damit auf Anhieb was anfangen kann hier.
„Exato!“ sag ich anerkennend
Er nickt wissend wie wenn er einen Punkt in einem Quiz gemacht hätte und fragt weiter:
„Geboren wann und wo?“
„12.01.1974, Österreich“
Er: „Wo??“
Ich „ÖSTERREICH, nicht Australien“ („Austria, não Australia“ – meistens werden wir hier Australien zugeordnet...).
Er: „Jaja, schon Österreich, aber das ist doch ein großes Land, oder? – wo genau in Österreich?“
Ich, wieder überrascht, jetzt von seinem Wissensdurst, verbeiße mir die Bemerkung, dass Österreich jetzt nicht soo groß ist und er vermutlich Wels nicht kennt, stattdessen sag ich’s ihm einfach.
„Wels“
Er: „Wie?“
Das dachte ich mir... „WELS, Oberösterreich“
Er: „Ok – hmhm....“ und wackelt nichtssagend mit dem Kopf.
Punkt für mich.
„Eltern?“
„J. u. I. N.“
Schließlich soll ich ihm sagen, was sich an dem fraglichen Tag ereignet hat.


Ich erzähl also die Eckpunkte der Geschichte noch einmal, lasse aber die Episode der Polizei mit dem [amigo] aus (für Interessierte weiter unten nachzulesen) und ende damit, dass sich mittlerweile alles vollständig und in bester Ordnung wieder in meinem Besitz befindet.


Nach der einen oder anderen Zwischenfrage vom Richter, der Staatsanwältin und einem Zwischenwurf des Pflichtverteidigers der Angeklagten, will der Richter nun wissen, ob mir die Polizei gesagt hat, wie sie den Laptop gefunden hat.


Ich sage „Ja schon, aber das ist etwas kompliziert“ und wäre froh, wenn ich das jetzt nicht in aller Öffentlichkeit aufwärmen müsste.


Er tut mir den Gefallen jedoch nicht und schaut mich durchdringend und auffordernd an.


„Also wenn sie wollen, kann ich das schon erzählen“ meine ich mit etwas Unwohlsein und flauem Magen, weil ich mich im Inbegriff sehe, öffentlich einen Korruptionsfall des städtischen Polizeikommandanten beim Tribunal der Provinz zu Protokoll zu geben.
‚Nicht so gut’ denke ich noch, und dabei spuken mir Szenen von mittelmäßigen Fernsehserien mit Zeugenschutzprogrammen und so kurz durchs Hirn.


Es bleibt aber keine Zeit zu Spintisieren und so versuche ich mich kurz und bündig zu halten, erzähle und komme bis zu dem Punkt der Geschichte an dem die Laptopübergabe im Büro des Postenkommandanten stattfand und erwähne bis dahin nichts von dem von der Polizei immer wieder geforderten Schwarzgeld für den vermeintlichen [amigo], das ich ja schlussendlich auch nicht bezahlte.


Und als ob er es gerochen hätte, kam punktgenau seine Nachfrage:
„Hat die Polizei von ihnen Geld verlangt oder haben sie Geld gegeben?“


‚Wie wenn er das gelernt hätte’, denk ich mir ungläubig, schüttle innerlich den Kopf vor lauter ‚das -darf-jetzt-aber-nicht-wahr-sein’ und bestätige nun auf seine Nachfrage.


„Ja, für diverse „Notwendigkeiten“ und aus Dankbarkeit für die beteiligten Beamten habe ich insgesamt 700,- Meticais bezahlt.“
Obwohl das Ganze eine prekäre Geschichte ist, aber lügen will ich vor Gericht nicht und irgendwie kann man bei dem Thema das Knistern spüren im Saal.


Dass die Notwendigkeiten „Gesprächsguthaben“, „Kilometergeld“ der nächtlichen Einsatztruppe und „Zement“ für die Berichtsschreiberin des Postens waren sag ich aber nicht dazu.


„Und dann waren da noch die von der Polizei geforderten 2.000,- Meticais für den amigo.
Die hab ich aber nicht bezahlt.“
Das trau’ ich mir nur deswegen aussagen, weil wir die Tonaufnahmen haben und ich Beweise für die Geschichte habe – und wenn er schon nachfragt, dann raus damit...


„Und wie haben sie das angestellt?“ will der Richter überrascht und jetzt wirklich interessiert wissen?
„Naja, - ich habe nach der Übergabe um eine Rechnung für die 2.000,- gebeten“


Der ganze Saal, inkl. Richter, grinst, einigen kommt Lachen aus – es wird um Ruhe gebeten. Der Reaktion nach ist meine Geschichte kein Einzelfall und die Anwesenden sind ob meiner Vorgangsweise echt erheitert.
Mit Mühe wird der Mundwinkel des Richters von ihm nach unten gehalten, während er, zunehmend ernst, meint: „Interessant. Diese Inhalte finden irgendwie nie im Protokoll Niederschlag. Wie ich die Lage sehe werden wir die betroffenen Beamten nächste Woche hier vorladen.“


Ich schlucke und er bedeutet mir, dass ich fertig bin.
Ich will noch wissen wie’s weitergeht und ob ich eh nicht von Nöten bin, weil ich die kommende Woche abwesend bin (DW-Meeting in Inchope und eigentlich will ich die Polizisten vor Gericht nicht wirklich treffen...).
‚Wird notiert’ und ich soll mir keine Sorgen machen, meint er wieder ganz sachlich. Zur Urteilsverkündung werde ich dann wieder eingeladen.


Na dann mach ich mir inzwischen einfach mal keine Sorgen...